Akzeptanz & Commitment Therapie: Eine Einführung

Sophie Schenk

Von Sophie Schenk Überprüft von Psycholog*in Daan van Overbeek

10 min
Illustration einer Frau, die von Schnüren kontrolliert wird, die an einer hölzernen Querstange befestigt sind, wie eine Marionette, die fehlende Kontrolle oder Manipulation symbolisiert, vor einem gedämpften lila Hintergrund mit Wolken und einer schwachen Uhr.

Hast du schon einmal versucht, ein unangenehmes Gefühl loszuwerden? Vielleicht hast du deine Angst verdrängt, indem du dich abgelenkt hast, oder ziellos auf deinem Handy gescrollt, um der Traurigkeit zu entkommen. Vielleicht hast du dir auch gesagt: „Ich sollte mich nicht so fühlen“ – nur um dich am Ende noch schlechter zu fühlen. Die meisten von uns versuchen auf die eine oder andere Weise, unangenehme Gedanken und Gefühle zu kontrollieren oder zu vermeiden. Doch wie gut funktionieren diese Strategien wirklich auf lange Sicht?

Was wäre, wenn mentales Wohlbefinden nicht darin bestünde, Schmerz loszuwerden, sondern darin, zu lernen, mit ihm zu leben?

Das ist die radikale, wissenschaftlich fundierte Botschaft der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) – ein modernes therapeutisches Verfahren, das Menschen dabei unterstützt, sich dem zuzuwenden, was ihnen wirklich wichtig ist, selbst in schwierigen Zeiten.

In diesem Artikel erklären wir, wie ACT funktioniert, warum psychische Flexibilität entscheidend für mentales Wohlbefinden ist und wie die sechs Kernprozesse helfen, ACT Schritt für Schritt im Alltag anzuwenden.

Was ist ACT?

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT, ausgesprochen wie das englische Wort „act“) wurde in den 1980er-Jahren von Psychologe Steven Hayes und seinen Kolleg*innen entwickelt und gehört zur „dritten Welle“ der Verhaltenstherapien.

Anstatt zu versuchen, belastende Gefühle zu beseitigen, hilft ACT, die Beziehung zu Gedanken und Gefühlen zu verändern – und so ein reichhaltigeres, sinnvolleres Leben zu führen.

Das Ziel ist nicht, Gefühle zu kontrollieren. Es geht darum, psychische Flexibilität zu entwickeln: also die Fähigkeit, im Moment präsent zu sein – auch bei unangenehmen Gefühlen – und trotzdem Handlungen zu wählen, die dich dem näherbringen, was dir wirklich wichtig ist.

Was macht ACT besonders?

ACT sticht hervor, weil es viele der gängigen Annahmen über mentales Wohlbefinden infrage stellt und eine überzeugende Alternative bietet.

Ein anderes „normal“

Traditionelle Ansätze betrachten psychisches Leiden oft als Hinweis darauf, dass etwas „nicht stimmt“. ACT hingegen sieht schwierige Gedanken und Gefühle als normalen Teil des Menschseins und geht von einer „destruktiven Normalität“ aus. Das bedeutet, ACT erkennt die Zweischneidigkeit der Fähigkeiten an, die unseren Geist leistungsfähig machen – Erinnern, Vorstellen, Planen, Sprechen –, denn genau diese Fähigkeiten können uns gleichzeitig behindern. So bleiben wir beispielsweise in schmerzhaften Erinnerungen hängen, sorgen uns um die Zukunft oder verurteilen uns selbst.

Die Illusion der Kontrolle

Die westliche Kultur lehrt: Kontrolle funktioniert. Aber während dies in der äußeren Welt oft stimmt (z.B. ist der Kühlschrank leer, kauft man Lebensmittel), schlägt es innerlich häufig fehl. Der Versuch, Gefühle durch Vermeidung oder Unterdrückung zu kontrollieren, kann kurzfristig Erleichterung verschaffen, langfristig jedoch zu mehr Leid führen (etwas, das ACT „schmutziges Leid“ nennt).

Soziale Normen verstärken diese Kontroll-Agenda: Wir werden gelobt, ruhig zu bleiben, gelassen zu wirken oder „weiterzumachen“. Dazu kommen ständige Vergleiche mit anderen, die scheinbar alles im Griff haben, besonders im Zeitalter der sozialen Medien. ACT lädt uns ein, diese Agenda zu hinterfragen. Anstatt zu versuchen, unsere Gefühle zu kontrollieren oder zu unterdrücken, lehrt uns ACT, unsere Beziehung zu ihnen zu verändern.

Von Symptombekämpfung zu einem erfüllten Leben

In den ersten beiden Wellen der Verhaltenstherapie stand die Veränderung von Verhalten und Gedanken im Vordergrund, mit dem Ziel, belastende Symptome zu verringern. Die Grundannahme war: Beschwerden müssen beseitigt werden, damit es uns besser geht. ACT, als Teil der dritten Welle, verfolgt einen anderen Ansatz. Gedanken und Gefühle werden nicht bekämpft oder umgeformt, sondern als vorübergehende Erfahrungen angenommen. Statt Symptomfreiheit ist das eigentliche Ziel, psychologische Flexibilität zu entwickeln und ein sinnvolles, werteorientiertes Leben zu führen. Die Linderung von Symptomen ist dabei eher ein angenehmer Nebeneffekt.

Wertorientiert und praktisch

ACT ist zutiefst pragmatisch. Anstatt Probleme endlos zu analysieren, hilft es Menschen, sinnvolle Schritte zu unternehmen, die auf dem basieren, was ihnen wirklich wichtig ist. Es geht nicht darum, zu warten, bis man sich „besser“ fühlt, um gut zu leben – sondern darum, schon jetzt aktiv für das Leben einzutreten, das man führen möchte.

Psychische Flexibilität: Das Herzstück von ACT

Psychische Flexibilität ist die zentrale Fähigkeit, die ACT entwickelt. Sie bedeutet, dass man in der Lage ist:

  • Im Hier und Jetzt präsent zu sein
  • Sich für Gedanken und Gefühle zu öffnen, auch schmerzhafte
  • Das zu tun, was einem wichtig ist, geleitet von den eigenen Werten

So kann man sich ängstlich fühlen und trotzdem einen Schritt nach vorn gehen, einen Verlust betrauern und dennoch verbunden bleiben oder trotz Unsicherheit für sich selbst einstehen.

Warum ist psychische Flexibilität wichtig

Viele Menschen erleben ihr Inneres, als wären sie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Erwartungen – all das zieht an uns und scheint zu bestimmen, wie wir reagieren. Oft versuchen wir, diese Fäden zu kappen, etwa durch Vermeidung, Ablenkung oder Betäubung. Das mag kurzfristig Erleichterung bringen, führt aber auf Dauer zu mehr Distanz – nicht nur zu unangenehmen Erfahrungen, sondern auch zu dem, was uns wirklich wichtig ist: Beziehungen, Werte, Zukunftsträume.

Psychische Flexibilität setzt hier an. Sie bedeutet nicht, die Fäden zu durchschneiden, sondern ihren Zug zu lockern. Wir lernen, die Bewegungen dieser Fäden wahrzunehmen, ohne uns automatisch von ihnen steuern zu lassen. So entsteht neuer Handlungsspielraum: Wir können selbst entscheiden, in welche Richtung wir uns bewegen – nicht gezogen von Kontrolle, sondern geleitet von dem, was uns wirklich wichtig ist. Psychische Flexibilität heißt: Die Fäden bleiben, aber sie halten uns nicht mehr fest.

Die 6 Kernprozesse von ACT

ACT arbeitet mit sechs Kernprozessen, die zusammen psychische Flexibilität fördern. Sie sind Fähigkeiten, keine schnellen Lösungen, und eng miteinander verbunden. Anhand kleiner Beispiele, Metaphern und Übungen bringen wir dir jeden Prozess ein Stück näher.

1. Akzeptanz

ACT ermutigt uns, aufzuhören, gegen unsere inneren Erfahrungen anzukämpfen, und ihnen stattdessen Raum zu geben. Akzeptanz bedeutet nicht, Angst oder Traurigkeit zu mögen – sie bedeutet, bereit zu sein, Unbehagen auszuhalten und es einfach sein zu lassen, ohne dagegen anzukämpfen.

Der Versuch, keine Angst zu spüren, verstärkt diese oft nur noch. Akzeptanz durchbricht diesen Kreislauf und erlaubt es uns, mit dem Unbehagen weiterzugehen, statt stehenzubleiben.

Probier es aus: Denk nicht an einen rosa Elefanten.

Hat es funktioniert? Oder hat der Versuch, den Gedanken zu unterdrücken, ihn vielleicht noch stärker in den Vordergrund gerückt? Diese einfache Übung verdeutlicht eine zentrale Idee von ACT: Je mehr wir versuchen, unsere Gedanken zu kontrollieren, desto mehr Macht gewinnen sie oft über uns. Eine gängige Metapher dafür ist Treibsand: Je mehr du kämpfst und dich dagegen wehrst, desto tiefer sinkst du. Wenn du jedoch aufhörst, dich zu widersetzen, schaffst du die Voraussetzungen, um voranzukommen.

2. Kognitive Defusion

Defusion ist die Fähigkeit, Gedanken als das zu erkennen, was sie wirklich sind: einfach nur Gedanken – keine Fakten, Bedrohungen oder Befehle. Anstatt sie für bare Münze zu nehmen – zum Beispiel zu glauben „Ich bin ein Versager“ – können wir lernen, einen Schritt zurückzutreten und sie aus der Distanz zu beobachten.

Durch die Funktionsweise von Sprache verbinden unsere Gedanken natürlicherweise Emotionen und Bedeutungen. Das kann zu kognitiver Fusion führen – wenn wir so sehr in einen Gedanken verstrickt sind, dass er sich unbestreitbar wahr anfühlt. Das ist nicht immer problematisch, kann uns aber leicht gefangen halten und unsere Sicht auf uns selbst und die Welt einschränken.

Eine hilfreiche Illustration ist die Kino-Metapher: Wenn wir in kognitiver Fusion gefangen sind, ist es, als wären wir völlig in einen Film vertieft. Wir verlieren uns in der Geschichte und reagieren, als sei sie real – obwohl wir nur Bilder auf einer Leinwand sehen. Ähnlich können verschmolzene Gedanken real und unmittelbar wirken, auch wenn sie weder genau noch hilfreich sind.

Probier es aus: Wenn dir ein negativer Gedanke auffällt, setze einen Satz wie „Ich habe gerade den Gedanken, dass …“ davor. Zum Beispiel: Ändere „Ich bin ein*e Versager*in“ zu „Ich habe gerade den Gedanken, dass ich ein*e Versager*in bin.“ Spreche es dir vor und achte darauf, wie sich das anfühlt. Diese kleine Veränderung kann den mentalen Raum schaffen, den du brauchst, um den Gedanken einfach als Gedanken zu sehen – und nicht als Realität.

3. Hier & Jetzt

Anstatt in der Vergangenheit festzuhängen oder sich Sorgen über die Zukunft zu machen, ermutigt ACT dazu, Achtsamkeit zu üben – also mit sanfter, neugieriger Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu sein. Indem wir uns auf den gegenwärtigen Moment einlassen, brechen wir aus dem Autopiloten aus und verbinden uns wieder mit dem, was wirklich wichtig ist, genau in dem Moment, in dem es geschieht.

Denn tatsächlich: Die Vergangenheit existiert nur als Erinnerung im Hier und Jetzt, und die Zukunft nur als Vorstellung. Wirklich geschehen tut nur der gegenwärtige Moment.

Probier es aus: Wenn du merkst, dass deine Gedanken abschweifen – vielleicht stellst du dir ein zukünftiges Gespräch mit einer Freundin oder einem Freund vor, während du Geschirr spülst – halte kurz inne und nimm den Gedanken einfach wahr, ohne ihn zu bewerten. Sei nicht frustriert, dass deine Gedanken abgeschweift sind. Richte dann sanft deine Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgabe, die gerade ansteht: Spüre die Wärme des Wassers auf deinen Händen, achte darauf, wie es durch deine Finger fließt, nimm die Beschaffenheit der Schüssel wahr, die du gerade reinigst, und atme den Duft der Seife ein.

💡 Einen kleinen Einstieg in die Achtsamkeitspraxis findest du hier: Achtsamkeit für Anfänger.

💡 Wenn du selbst nicht so viel mit dem Thema Achtsamkeit anfangen kannst, dann entdecke unseren Artikel: Meditation ist nicht dein Ding? Achtsamkeit geht auch anders!

4. Selbst als Kontext

Ein Prozess von ACT ist, das Selbst als Kontext anzuerkennen, als Beobachter*in, als der Teil von dir, der immer präsent ist – ein unveränderliches, beständiges Bewusstsein, das deine Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Körperempfindungen wahrnimmt, ohne von ihnen mitgerissen zu werden. Aus dieser Perspektive siehst du, dass diese Erfahrungen kommen und gehen, aber nicht das sind, was du wirklich bist.

Im Gegensatz dazu ist das erfahrende Selbst der fortlaufende Fluss von Empfindungen und Gefühlen, den du Moment für Moment erlebst, und das konzeptualisierte Selbst ist die Geschichte, die du dir selbst über deine Identität erzählst, wie „Ich bin ängstlich“ oder „Ich bin nicht gut genug.“ Während sich das konzeptualisierte Selbst real und fest anfühlen kann, bleibt das Selbst als Kontext ein stabiles, urteilsfreies Zeugnis – es erlaubt dir, deine Identität leicht zu halten und freier zu reagieren.

Eine hilfreiche Metapher ist die von Himmel und Wetter: Der Himmel ist konstant und weit; das Wetter ändert sich – manchmal ruhig, manchmal stürmisch. Deine inneren Erfahrungen sind wie das Wetter, ständig im Wandel. Das Selbst als Kontext ist der Himmel – offen, beständig und unbeeinträchtigt.

Probier es aus: Bemerke, dass gleichzeitig zwei Dinge geschehen:

💭 Du denkst.

👀 Du nimmst wahr, dass du denkst.

Nimm dir einen Moment Zeit und beobachte deine Gedanken, wie sie kommen und gehen – fast so, als würdest du den Verkehr am Straßenrand beobachten. Kannst du den Unterschied erkennen zwischen dem Inhalt deines Geistes (deinen Gedanken) und dem Teil von dir, der sie beobachtet? Aus dieser Beobachter*innen-Perspektive ist kein Gedanke gefährlich, bedrohlich oder kontrollierend. Gedanken sind einfach vorüberziehende Ereignisse im Geist, und du bist derjenige, der sie wahrnimmt.

5. Werte

ACT legt einen besonderen Schwerpunkt auf Werte – tief verankerte Richtungen, die widerspiegeln, was dir wirklich wichtig ist – statt auf konkrete Ziele. Werte wie ein*e fürsorgliche*r Partner*in zu sein oder integer zu leben, leiten dein Handeln und geben dem Leben Bedeutung. Im Gegensatz zu Zielen, die klare Endpunkte haben, sind Werte fortlaufend und können in jedem Moment gelebt werden. Wenn du dir deiner Werte bewusst wirst, erhältst du einen beständigen Kompass, der dir hilft, zielgerichtet voranzuschreiten – selbst wenn die Umstände herausfordernd oder ungewiss sind.

Probier es aus: Nimm dir einen Moment Zeit und überlege, was dir im Leben am wichtigsten ist – Eigenschaften, die du verkörpern möchtest, oder Arten, wie du im Leben präsent sein willst (zum Beispiel Freundlichkeit, Ehrlichkeit oder Verbundenheit). Schreib 2 oder 3 dieser Werte auf und nimm dir Zeit, über jeden einzelnen nachzudenken.

Entdecke deine eigenen Werte

Nimm an dieser Gruppensitzung teil und finde heraus, was dir wichtig ist.

6. Engagiertes Handeln

ACT geht es nicht nur um Bewusstsein – es geht ums Handeln. Engagiertes Handeln bedeutet, sich dafür zu entscheiden, nach seinen Werten zu leben, auch wenn es unangenehm oder unvollkommen ist. Es geht darum, immer wieder aufzutauchen und voranzuschreiten, trotz schwieriger Gedanken oder Gefühle.

Das umfasst, einen sinnvollen Wert auszuwählen, damit verbundene Ziele zu setzen, Aktionen zu planen, Hindernisse wahrzunehmen und ACT-Fähigkeiten wie Akzeptanz und Achtsamkeit zu nutzen, um dranzubleiben.

Probier es aus: Überlege dir aus den Werten, die du zuvor aufgeschrieben hast, eine kleine Handlung, die du heute umsetzen kannst und die einen dieser Werte widerspiegelt. Schon ein winziger Schritt hilft dir, auf das Leben zuzugehen, das dir wirklich wichtig ist.

Bitte denk daran, dass das Üben von ACT Zeit, Geduld und oft Anleitung erfordert, da viele Übungen am effektivsten sind, wenn sie von einer erfahrenen ACT-Expert*in angeleitet werden.

Lust, ACT in der Praxis zu erleben?

Nimm an unserer interaktiven Gruppensitzung zur psychischen Flexibilität teil, geleitet von ausgebildeten Psycholog*innen. Lerne die wichtigsten ACT-Konzepte kennen und übe Fähigkeiten, die du im Alltag anwenden kannst.

Denk daran: Schmerz gehört zum Leben – aber Leid muss es nicht beherrschen. ACT lehrt, Erfahrungen anzunehmen, im gegenwärtigen Moment verwurzelt zu bleiben und Schritte in Richtung dessen zu gehen, was uns am wichtigsten ist. Denn das Ziel ist nicht, sich ständig besser zu fühlen – sondern besser zu leben, egal, was man gerade empfindet.

Brauchst du individuelle Unterstützung?

Unsere ACT-geschulten Psycholog*innen bieten individuelle Unterstützung, um deine psychische Flexibilität zu stärken und dich beim Umgang mit schwierigen Erfahrungen zu begleiten.